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Erinnerungskultur

Die Erinnerung an Vergangenes ist wesentlich durch die Gegenwart geprägt, aus der heraus erinnert wird, das heißt, die Vergangenheit wird aus der Gegenwart heraus mit Bedeutung versehen.
Die Erinnerungskultur und ihre Formen unterliegen stetigem Wandel.

Erinnerungskultur bei Straßennamen

Viele Straßennamen haben einen geschichtlichen oder kulturellen Hintergrund. Aber meistens machen wir uns darüber wenig Gedanken, da die funktionale Aufgabe der Adressangabe im Vordergrund steht. Die Straßenbezeichnungen erfüllen jedoch noch weitere Zwecke: Sie stellen zum Teil über Jahrhunderte hinweg ein „kollektives Gedächtnis“ dar und sind eine Möglichkeit, verdiente Personen zu ehren und deren Wirken als Vorbilder präsent zu halten.
Allerdings sind Straßennamen immer ein Spiegel ihrer Zeit. Sie werden von den kommunalen Gremien beschlossen, die für einen bestimmten Zeitraum die Deutungshoheit zur städtischen Geschichte für sich beanspruchen. Stets spielen die aktuellen Verhältnisse – von der Weltanschauung und Kultur bis hin zu den Herrschaftsverhältnissen der jeweiligen Epoche – eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung von Persönlichkeiten oder historischen Begebenheiten, die dann wiederum als Grundlage für eine Straßenbenennung dienen. Eine solche Bewertung kann aber zu unterschiedlichen Zeiten sehr verschieden ausfallen, sodass im Urteil nachfolgender Generationen eine Benennung mehr als Belastung denn als Ehrung oder als unhaltbar empfunden werden kann und muss.

In den letzten Jahren kam es bundesweit in vielen Städten in den politischen Gremien zu einer intensiven Diskussion über Straßenbenennungen, die aus heutiger Sicht Anlass zu Bedenken geben.

Erinnerungskultur in Büdelsdorf

Die Diskussion um möglicherweise belastete Straßennamen und den Umgang damit wurde auch in den städtischen Gremien der Stadt Büdelsdorf geführt.
Die Stadtvertretung der Stadt Büdelsdorf hat entschieden, eine Erinnerungskultur bei belasteten Straßennamen zu schaffen, damit die Möglichkeit besteht, sich an praktischen Beispielen mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Bei einer bloßen Umbenennung wäre zwar dem Ansatz Rechnung getragen, eine Ehrung nachträglich als nicht angebracht zu bewerten, gleichzeitig ginge der bisherige Straßenname aus der Erinnerung verloren.

Die Erinnerung dient als Warnung und Mahnung gleichermaßen. Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der Holocaust rücken zeitlich immer in weitere Ferne. Das ihnen zugrundeliegende Gedankengut aus Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass tritt gerade aktuell wieder offen zutage. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten und sich aktiv mit der Thematik auseinander zu setzen

Überprüfung Straßennamen in Büdelsdorf

Die Stadt Büdelsdorf hat sich in den städtischen Gremien mit möglicherweise belasteten Straßennamen in Büdelsdorf auseinandergesetzt und mit Unterstützung eines Historikers Straßen auf ihre Namenswürdigkeit hin begutachten lassen.

Auf dieser Grundlage wurden für die ehemalige Gustav-Frenssen-Straße sowie für die Agnes-Miegel-Straße politische Diskussionen über Namenswürdigkeit und eine mögliche Umbenennung mit folgendem Ergebnis geführt:

Umbenennung der Gustav-Frenssen-Straße in Dichterweg

Die Stadt Büdelsdorf hat sich intensiv in den städtischen Gremien mit dem Straßennamen „Gustav Frenssen“ auseinandergesetzt.

Um eine ungerechtfertigte Ehrung zurückzunehmen und an fatale menschenverachtende und antisemitische Verfehlungen zu erinnern, hat die Stadtvertretung der Stadt Büdelsdorf in ihren Sitzungen am 16.09.2021 und am 10.02.2022 beschlossen, die Gustav-Frenssen-Straße in Dichterweg umzubenennen.
Mit Hilfe eines QR Codes vor Ort (am Straßenschild) können sich interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Besucherinnen und Besucher jetzt online über Gustav Frenssen informieren und die Beweggründe für die Umbenennung nachvollziehen und sich eine eigene Meinung bilden.

Weitere Informationen finden Sie im folgenden Dokument:

Zusatzschild für die Agnes-Miegel-Straße

Bei der Überprüfung der Agnes-Miegel-Straße war im Abwägungsprozess eine aktive Auseinandersetzung mit dem Lebenslauf und mithin der Lebensleistung der Person Agnes-Miegel geboten. Auch wenn sich mitunter der Akt der Namensgebung lediglich auf einen Teilabschnitt des Lebens eines Menschen bezieht, so kann eine Entscheidung über die Namenswürdigkeit die gesamte Biografie der Person nicht ausblenden. Mit der Namensgebung wird also stets auch die gesamte Lebensleistung eines Menschen gewürdigt, die in der Regel auch Aspekte des Scheiterns und der Fehlerhaftigkeit miteinschließen.
Der Ausschuss für Bildung, Familie und Kultur hat in seiner Sitzung am 8. November 2023 auf der Grundlage eines Gutachtens des Historikers den Beschluss gefasst, die Agnes-Miegel-Straße mit einem kommentierenden Zusatzschild zu versehen, auf dem darauf hingewiesen wird, dass eine Benennung nach heutigen Wertevorstellungen nicht mehr erfolgen würde. Zudem wird auf dem Schild ein QR Code angebracht, der auf die Homepage verlinkt und dort weitere Informationen sowie die Stellungnahme des Historikers bereithält.

Dieser Weg erscheint am gewinnbringendsten für eine zukünftige kritische Auseinandersetzung der heutigen Menschen mit der Vielschichtigkeit deutscher Biografien des 20. Jahrhunderts.

Auszugsweise sei hier erwähnt, dass Agnes Miegel mit ihren heimatverbundenen Themen gut in die NS-Literatur passte und daher ihre literarische Tätigkeit auch nach der Machtübernahme der Nazis nicht einschränken musste. Sie begeisterte sich nachweislich für den neuen politischen Beschlussvorlage BV-66/2023 Seite 2 von 2 Kurs, was sich u.a. in der Unterzeichnung des sogenannten „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ deutscher Autorinnen und Autoren niederschlug. Im Gegensatz zu Gustav Frenssen fand jedoch in ihren Texten keine Radikalisierung statt.

Auch finden sich keine der sonst bei vielen NS-Dichtern deutlichen antisemitischen Bezüge. Ihre Arbeiten lassen auch nicht den Schluss zu, dass sie bewusst die Verbrechen des NS-Regimes befürwortete oder sie ideologisch rechtfertigte. Sie blieb im NS eine unpolitische, unkritische und mit Blick auf die Person Hitlers schwärmerische Dichterin. Ihre letzte Lebensphase war vor allem durch ihre persönliche Erfahrung von Flucht und Vertreibung gekennzeichnet. Nach Kriegsende galt sie als Sprachrohr der Vertriebenen. Agnes Miegel galt als Dichterin der verlorenen Heimat, die sich in ihren literarischen Arbeiten mit den für die Vertriebenen wichtigen Fragen auseinandersetzte. Daher steht die Straßenbenennung im Kontext mit sog. Vertriebenenvierteln, in denen die Heimatvertriebenen der deutschen Ostgebiete nach 1945 in Westdeutschland vorzugweise angesiedelt wurden. In Büdelsdorf ist dies durch die in unmittelbarer Nähe befindlichen Straßen wie Usedomstraße, Wollinstraße, Memelstraße zu erkennen.
In die Betrachtung flossen somit alleine aufgrund der Lebensspanne von Agnes Miegel die Zeit ihres Schaffens von der Phase des späten Kaiserreichs bis in die Zeit der Bundesrepublik Deutschland hinein ein.

Die gesamte Stellungnahme des Historikers mit weiteren Informationen zu Agnes Miegel finden Sie im folgenden Dokument:


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